Abstract:
Ein ausgebuchter Vortrag, über hundert Menschen im Raum – und die komplette Technik versagt. Was bleibt, wenn Präsentation, Beamer und Sicherheitsnetz wegfallen? Eine Geschichte über Mut, Stimme, innere Haltung und die Kraft, sich selbst zu tragen, wenn nichts mehr trägt.
Es gibt diese Momente, in denen alles vorbereitet ist. Inhalte stehen, Struktur steht, Technik ist gepackt. Man hat das Gefühl: Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Und genau dann geschieht es.
Es gibt diese Momente, in denen alles vorbereitet ist. Inhalte stehen, Struktur steht, Technik ist gepackt. Man hat das Gefühl: Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Und genau dann geschieht es.
Der Vortrag war ausgebucht. Über hundert Menschen im Raum. Beginn 20 Uhr.
Ich hatte mich modern vorbereitet, wie so viele heute: Präsentation fertig, Stick dabei, alles sauber abgestimmt. Um kurz vor acht der erste Versuch. Der Stick wird nicht erkannt. Zweiter Laptop. Gleiches Spiel. Beamer. Kein Signal. Noch ein Versuch. Nichts.
Und während draußen langsam die Gespräche leiser wurden und die ersten erwartungsvollen Blicke Richtung Bühne gingen, wuchs hinter den Kulissen eine sehr menschliche Nervosität.
Um zehn nach acht wurde der Veranstalter unruhig. Die Zeit lief. Der Raum war voll. Die Technik tot.
In solchen Momenten gibt es genau zwei Wege. Man kann abbrechen. Oder man kann bleiben. Ich habe mich für das Bleiben entschieden.
Nicht, weil ich besonders mutig war. Sondern weil in diesem Augenblick klar wurde: Entweder ich vertraue jetzt auf das, was ich wirklich kann – oder ich verlasse mich weiter auf etwas, das gerade nicht mehr da ist.
Ich bin auf die Bühne gegangen. Ohne Folien. Ohne Bilder. Ohne Stichworte. Nur mit mir. Und meiner Stimme.
Zwei Stunden. Ohne Pause. Ohne Netz. Ohne doppelten Boden.
Was danach geschah, hat mich selbst überrascht. Keine Unruhe im Raum. Kein Abdriften. Kein Verlust an Aufmerksamkeit. Im Gegenteil. Die Menschen waren da. Still. Wach. Verbunden. Und nach dem letzten Satz kam kein höflicher Applaus, sondern ein deutliches, ehrliches Aufatmen.
Viele sagten später, es sei genau deshalb so intensiv gewesen, weil nichts zwischen uns stand. Keine Leinwand. Kein Medium. Kein technischer Puffer.
Nur Mensch. Zu Mensch.
Was diese Erfahrung über Präsenz lehrt
Wir leben in einer Zeit, in der wir uns an Technik binden, ohne es zu merken. Nicht nur äußerlich. Auch innerlich.
Wir verlassen uns auf Präsentationen. Auf Ablaufpläne. Auf visuelle Sicherheiten. Auf alles, was uns schützt vor dem Moment, in dem wir wirklich allein vor anderen stehen.
Technik ist nicht falsch. Sie ist hilfreich. Sie ist nützlich. Aber sie ist kein Ersatz für innere Klarheit.
Wenn Technik wegfällt, fällt nicht der Inhalt weg.Es fällt nur der Schutz weg.
Und genau dort beginnt oft das eigentliche Sprechen.
Viele Menschen fürchten diesen Moment. Nicht, weil sie nichts wissen. Sondern weil sie nicht sicher sind, ob sie sich selbst tragen können, wenn nichts mehr trägt. Dieser Abend hat mir wieder sehr deutlich gezeigt:
- Präsenz ist nicht das, was entsteht, wenn alles perfekt läuft.
- Präsenz entsteht dann, wenn wir bleiben, obwohl nichts mehr perfekt ist.
Warum Mut nichts Heroisches ist
Mut wird oft missverstanden. Als große Geste. Als Überwindung. Als Kraftakt. In Wahrheit war dieser Moment kein heroischer. Er war schlicht notwendig. Es ging nicht darum, mutig zu wirken. Es ging darum, nicht wegzugehen.
Mut ist oft nichts anderes als die Entscheidung, den nächsten Satz trotzdem zu sprechen.
Die Illusion der äußeren Sicherheit
Viele Karrieren entstehen auf dem Fundament äußerer Sicherheit. Kontrolle. Planung. Backup. Redundanz. Das alles ist sinnvoll. Aber es schützt uns nicht vor dem einen Moment, in dem alles ausfällt. Was dann zählt, ist nicht das Setup. Was dann zählt, ist Substanz.
Nicht jede Führungskraft, nicht jeder Speaker, nicht jeder Mensch, der Verantwortung trägt, ist mit dieser inneren Leere konfrontiert worden. Aber jeder wird es irgendwann.
Und dann stellt sich eine einzige Frage:
Kann ich mich selbst halten, wenn nichts mich hält?
Drei zentrale Übungen für Präsenz, Stimme und innere Sicherheit
Diese drei Übungen sind direkt aus diesem Erlebnis entstanden. Sie sind einfach – aber nicht oberflächlich. Sie trainieren genau das, was in solchen Momenten trägt.
Übung 1: Die Ein-Satz-Klarheit
Setzen Sie sich hin und beantworten Sie diese Frage schriftlich:
„Wenn ich nur einen einzigen Satz sagen dürfte – was wäre der Kern meines Vortrags, meines Anliegens, meiner Botschaft?“
Nicht zehn Sätze. Nicht eine Struktur. Ein Satz. Dieser Satz ist Ihr innerer Anker, wenn alles außen wegfällt.
Wirkung:
Sie lernen, Ihren Inhalt innerlich zu bündeln. Wer diesen Satz wirklich tragen kann, geht nicht verloren, wenn die Folien verschwinden.
Übung 2: Die Fünf-Minuten-Stille
Sprechen Sie fünf Minuten lang frei zu einem Thema – ohne Vorbereitung, ohne Notizen, ohne Ziel, ohne Bewertung. Nur sprechen.
Danach nicht analysieren, nicht kritisieren. Sondern nur wahrnehmen:
- Wie ist mein Atem?
- Wie ist meine Stimme?
- Wie ist meine innere Haltung?
Wirkung:
Sie trainieren das Vertrauen in den Moment. Präsenz entsteht nicht im Denken, sondern im Sprechen selbst.
Übung 3: Die Technik-losen Proben
Proben Sie wichtige Gespräche, Vorträge oder Präsentationen bewusst ohne jedes Hilfsmittel. Ohne PowerPoint, ohne Skript, ohne Stichworte.
Nur Sie und der Inhalt.
Wirkung:
Sie erfahren sehr konkret, was wirklich in Ihnen verankert ist – und was bisher nur an Technik angelehnt war.
Ein stilles Fazit
Dieser Abend hat meinen Blick auf Vorträge dauerhaft verändert.
Nicht weil er spektakulär war.
Sondern weil er ehrlich war.
Technik kann unterstützen.
Aber tragen kann sie nicht.
Tragen kann nur das, was in uns selbst eine Form gefunden hat.
Und manchmal braucht es einen ausgefallenen USB-Stick, damit wir das wieder spüren.
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